Thomas Hettche
Unsere leeren Herzen: Über Literatur
Kiepenheuer & Witsch 2018

„Was erzählt die Erzählung einer Erzählung und was nicht? Was ist der Sinn einer Geschichte und was der Sinn dieses Sinns? Und was, wenn es ihn gibt, kümmert er uns? So genau glauben wir zu wissen, was Erzählen sei, und sind meist doch nichts als die Claqueure unserer eigenen Vorstellungen.“ So schreibt Thomas Hettche in seinem Essayband „unsere leeren herzen“, in dem er aufzuspüren versucht, was für ihn an humanistischer Kultur im digitalen Zeitalter übrig bleibt.
Thomas Hettche ist zuletzt mit seinem Roman „Die Pfaueninsel“ (2017) Kandidat auf der Short List des Deutschen Buchpreises gewesen. Im Literaturbetrieb sorgt er manchmal für einige Aufregung. Begegnet man aber ihm und seinen Figuren als Leser im Alleingespräch, ist er ein Autor, dessen Fortbewegungsweise im Schreiben man gern folgt bis in die imaginären Räume von Stille hinein, die spürbar machen, was die Welt in ihrem Innersten noch zusammen halten könnte. Zwischen seinen Romanen schrieb Hettche Essays wie „Totenberg“ (2012) oder den Romanessay „Animationen“ (1999). „Zwischenhalte“ nennt er dieses Innehalten im anderen Schreiben, das so anders gar nicht ist. Hettches Schreiben über Literatur ist selber Literatur, ist, wie seine Romane, eine Geste, die einen ästhetischen Raum zeichnet aus dem erlebten Lebens heraus. 2005 entfachte Hettche eine Diskussion zum Thema „Relevanter Realismus“. Zusammen mit Martin R. Dean, Matthias Politycki und Michael Schindhelm beschrieb er die Notwendigkeit, aus dem Druck zeitgenössischer Erfahrung heraus ein Erzählen zu finden, das unsere untergehende Welt sichtet und gleichzeitig um Utopien ringt.
Wo Thomas Hettche jetzt, dreizehn Jahre später, steht, erfährt der Leser in seinem neuen Essayband anhand unterschiedlichster „personnages de distance“, die Hettche über die Literatur auf die Bühne seines Nachdenkens holt. In diesem Band „unsere leeren herzen“ denkt er über das konkrete Erzählen von Wilhelm Raabe nach. Er unterzieht Ernst Jünger oder David Foster Wallace einer poetischen Untersuchung, schreibt sich selber in einer Begegnung des Sängers David Bowie mit dem Maler Balthus als gläsernen Gast mit hinzu oder berichtet über seine Leseerfahrung mit Michel Houellebecq. Auch über den „Realismus“ von Karl Ove Knausgard urteilt er. Eine Überraschung dies für die einen, vielleicht — für andere weniger.