Patrick Modiano
Das Café der verlorenen Jugend
aus dem Französischen von Elisabeth Edel, Hanser Verlag 2012
Ich bin seit dem Roman „Die Gasse der dunklen Läden“, für den Modiano 1978 den Prix Goncourt bekam, eine Verehrerin des Schriftstellers. Modiano glaubt, so sagen es alle seine Bücher, an ein unsichtbares Netz zwischen Personen über die Jahrzehnte hinweg, und dass ein jeder das Gewicht seiner Geschichte vor den aufmerksamen Augen des Lesers um den Hals eines anderen legen darf. Das Suchen nach Fixpunkten und ihre Verbindung enthält die Frage, ob man sich schon einmal begegnet ist, bevor man am gemeinsamen Ziel eintraf.
Die Geschichte: Louki, Kosename für Jacqueline, hat sich als Mädchen im nächtlichen Paris herumgetrieben, bis die Polizei sie aufgriff. Die Mutter arbeitete im Moulin Rouge, wo man die schönsten Frauen der Welt sehen kann. Louki hat einen Ehemann verlassen, ist in nicht ungefährlicher Gesellschaft an düstere Orte gefahren, an die sie sich nicht erinnern möchte. Sie hat mit einem Mädchen, das die anderen Totenkopf nennen, Koks genommen. Immer wenn sie versucht hat, ein Leben mit jemandem zu teilen, hat sich ihre Einsamkeit verdoppelt. Nur mit Roland nicht? Dieser Roland wird als letzter sprechen im vierstimmigen Chor derer, die in Modianos Roman ihre poetischen Zeugenaussagen über Louki machen. Die Geschichte von Louki wird von vier Personen/Zeugen erzählt. Sie umkreisen das Geheimnis, warum Louki am Ende aus dem Fenster fiel.
Um über dieses Buch zu schreiben, bräuchte man eigentlich eine Schreibmaschine. Ich wenigstens. Denn ich habe das innere Tempo nicht mehr gefunden, um mit Modiano Schritt zu halten. Mir war beim Lesen, als ginge ich mit einem älteren Herrn spazieren, der wieder und wieder stehen bleibt, weil er nicht gleichzeitig gehen und erzählen kann. Ich habe Modiano immer gern gelesen, diesmal aber mit gemischten Gefühlen. Wie früher hat mich die Atmosphäre verführt. Gleichzeitig hat sie mich ungeduldig gestimmt. Das war, als ich jünger war, nicht so. Wenn also Modiano heute euphorisch gefeiert wird, stehe ich am Rand des Fests. Aber mit einem freundlichen Gesicht.