Patrick Modiano
Der Horizont
aus dem Französischen von Elisabeth Edl, Hanser Verlag 2013

Wieder ein nächtliches Café , eine Autowerkstatt, ein Zimmer unter dem Dach, weit ab von der Welt, eine Liebe, die nicht von großer Dauer ist, – wieder ist hier der Erinnerungsfetischist Patrick Modiano am Werk und sein alter ego heisst Jean Bosmans. Obwohl Modiano in der dritten Person erzählt, höre ich Bosmans, diesen Chronisten einer rätselhaften Margarete Le Coz, deutlich ICH sagen, während er von seiner scheuen Liebe zu ihr erzählt und von all den anderen Kerlen, mit denen diese Frau verstrickt zu sein scheint. Margarete Le Coz, geboren in Berlin Reinickendorf, aber Französin und Jean Bosmans, der die Restbestände eines esoterischen Verlags in einer ehemaligen Autowerkstatt mit greisenhafter Jugendlichkeit betreut, werden bei einer Demonstration in einem Pariser Metroeingang gegeneinander geschubst. Das muss so um den Mai ´68 herum gewesen sein. Das Ende wohnt der Beziehung von Anfang an inne und gibt ihr den flüchtigen Ernst – flüchtig wie Margarete und ernsthaft wie Bosmans. Bosmans und Margarete drücken ihre Wunden aufeinander und wachsen so scheu zusammen. Bosmans wird von der Frau verfolgt, die angeblich seine Mutter ist. Ständig will sie Geld von ihm. Margarete wird von einem Mann namens Boyaval bedroht, Boyaval, der Hagere, der Killer, von dem keiner weiss, wann und ob er wirklich tötet. Boyaval ist ein Stalker, der Margarete nachstellt aus dem Grund, den alle Stalker haben. Er will sie zum Opfer machen. Eines Tages verlässt Margarete Hals über Kopf Paris und nimmt sie den Nachtzug nach Berlin. Bosmans liebt sie in ihrer Abwesenheit weiter. Sie wird wieder erscheinen, sagt Modiano. Leute waren in ihrer Jugend miteinander befreundet, sagt er, doch nicht jeder altert. Vierzig Jahre später begegnen sie sich wieder, der eine alt, der andere so, wie man ihn verließ. Tot, frage ich, Eines Tages, schreibt Modiano, wenn man lange genug still in der Sonne gestanden hat, wird es möglich sein, durch die unsichtbare Mauer zu dringen, die diese Zeitkorridore voneinander trennt.
Nennt man das sterben?