Patrick Modiano
Unsichtbare Tinte
Hanser Verlag 2021
Patrick Modiano ist ein Erinnerungsfetischist. Jedes neue Buch, so hat er 2014 bei der Verleihung des Nobelpreises gesagt, lösche im Augenblick des Schreibens das vorangegangene aus. Sein neuer Roman „Unsichtbare Tinte“ scheint sich nicht n a c h, sondern bereits i m Schreibvorgang von Gedächtnislücke zu Gedächtnislücke selbst auslöschen zu wollen. Das ist irritierend, aber ist es auch wirklich neu? Selten hat es in meinem Leben als Leserin einen Autor wie Modiano gegeben, der mich über Jahrzehnte begleitet hat, ohne dass ich ihn los werden konnte. An wem liegt das wohl?
In den Büchern von Patrick Modiano herrscht oft, oft die verlorene Stimmung eines Samstagnachmittags oder eines frühern Sonntagabends. Dann verschwinden Menschen wie eine Faust, wenn die Hand sich öffnet. Meistens ist es ein Mann, der danach die verschwundene Frau sucht, – so glaube ich mich wenigstens zu erinnern. Selbst wenn im neuen Roman „Unsichtbare Tinte“ die männliche Ich-Erzählstimme auf der Hälfte des Buchs auf eine zweite, weibliche Perspektive wechselt, so ist mir, als suche trotzdem ein Mann, vielleicht der immergleiche Mann das Immergleiche, nämlich etwas, das sich Frau nennt, um in der Suchbewegung (oder in der Frau? ) selber zu verschwinden. Ein Trick oder ein Tick? Magie oder Taschenspielerei? Modianos Bücher sind Krimis, die nicht dem Täter und eigentlich auch nicht dem Opfer, sondern der Spur auf der Spur sind.