Gilles Rozier
Eine Liebe ohne Widerstand
DuMont Literatur und Kunst Verlag 2004

Der Autor Gilles Rozier hat in jiddischer Literatur promoviert, sein Großvater väterlicherseits war Deutschlehrer. Deutsch ist eine Sprache, die einen wichtigen Platz in seiner Familie einnimmt. Er ist Direktor des Hauses für jiddische Kultur in Paris. Sein Großvater Moyshe wurde ermordet in Auschwitz. Jiddisch ist die Sprache dieses Großvaters gewesen.
Der Erzähler, seine Schwester Anne und die dicke Mutter leben in einem schönen Haus hinter Akazien in einer französischen Provinzstadt – während der deutschen Besatzung. Die Schwester Anne gleicht ihrem Land: Sie ist leicht zu haben. Sie lässt sich beschlafen vom SS-Mann Volker, im ersten Stock des Hauses. Im Keller des Hauses versteckt der Erzähler eine Bibliothek der verbotenen Bücher in deutscher Sprache, und in der Bibliothek den Juden Herman, den er liebt und mit dem er so oft wie möglich schläft. Denn in seiner achtjährigen Ehe hat er mit seiner Frau so lange nicht geschlafen, bis sie sich umgebracht hat. Zwischen dem ersten Stock und dem Keller steht parterre die Mutter am Herd und hört von oben den Kronleuchter klingeln, wenn der SS-Mann ihre Tochter besteigt, und hört sicher auch das Rumoren im Keller, wenn ihr Sohn hinter Kistenstapeln und Weinregalen aus seiner Einsamkeit zum Leben erweckt wird von einem Herman, von einem versteckten Juden, der diesen komischen Dialekt spricht, den der Erzähler anfänglich für Berliner Schnauze hielt: Jiddisch.
Der Erzähler scheint in der Geschichte nach Jahrzehnten des Schweigens zum ersten Mal über die Vergangenheit zu sprechen. Es ist ein alter Mann, der über sein Verlangen von damals und die befremdlichen Schlupfwinkel der menschlichen Seele spricht. „Wenn ich nicht so gern mit Herman geschlafen hätte, hätte ich ihn mir irgendwann eines Tages vom Halse geschafft, davon bin ich überzeugt“, sagt er. „Nur mein Verlangen nach ihm hatte mein heldenhaftes Tun gelenkt. Ich war ein lebendiges Wesen, endlich. Ich hielt aus Egoismus durch. Ich konnte nicht auf ihn verzichten. Eine wahrhafte Liebe.«