Dror Mishani
Drei
Diogenes Verlag 2019

Orna, Emilia und Ella ähneln einander in ihrem Hunger nach Sinn und fallen deswegen in die weichen Hände Gils. Wer genau liest, leidet schon früh mit, bekommt Angst, auch vor den eigenen Phantasien. Mishano konfrontiert Leseerfahrung und Lebenserfahrung miteinander. Während Ornas Exmann mit zweiter Frau aus Deutschland und deren vier Kindern im ersten Kapitel ein neues Leben anfängt, versucht Orna, Mutter eines Sohns und Ende dreißig, mit Gil einen Alltag aufzubauen. Die Beziehung endet in Bukarest mit einer Szene im Hotel, die die Nerven beim Lesen auf eine Zerreißprobe stellt. Im zweiten Kapitel trifft Emilia auf Gil. Ihre Gutgläubigkeit ihm gegenüber wird jetzt flankiert von der Wachsamkeit der Leserinnen und Leser, die die Geschichte Ornas bereits kennen. Somit ist Orna bei allem, was ab jetzt passiert, mit dabei. Emilia ist Mitte vierzig, Pflegekraft aus Riga und zum Geldverdienen nach Israel gekommen. Sie betreut Gils Vater, der auch nach seinem Tod immer wieder als Erscheinung im Türrahmen steht, für sie, Emilia, die ein gläubiger Mensch ist. Emilia besucht regelmäßig den katholischen Gottesdienst und in der Sakristei den Priester Tadeusz. Zu ihm hat sie in dem fremden Land ein Verhältnis wie zu einem Schutzengel. Emilia fängt an, für Gil zu putzen. Auch sie umwirbt er auf seine bescheidene, geduldige, fast unmännliche Art. In seinem Kleiderschrank findet sie beim Saubermachen eine Sammlung von Zeitungsausschnitten zum Tod einer Israelin in Bukarest. Gerade an dieser vereinsamten, benutzbaren Frau aus Lettland wird deutlich, was an „Drei“ typisch israelisch ist. Es die Grausamkeit, die der Roman als Alltag beschreibt. Emilia hat – anders als Orna und später Ella – einen ängstlichen Blick auf diese schnelle, junge, moderne Stadt Tel Aviv am Meer, die in einem ständigen Kriegszustand lebt, und in der – so beschreibt es der Autor Dror Mishani in einem Interview – eine Normalisierung und Rationalisierung von Gewalt und Tod stattfindet. Orna und vor allem Ella, die dritte Affäre des verheirateten Rechtsanwalts, der zu oft nach Bukarest fährt, nehmen diese Gewalt als Alltagsgegebenheit hin. Emilia aber weiß um die Verantwortung für das Leben über den Tod hinaus.